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Kaiserschnitt: zwischen Mitleid und Verachtung – ein Erfahrungsbericht


Mein Sohn wurde im Juni 2016 in Indien geboren. Theo kam per Kaiserschnitt zur Welt und wurde danach nur 6 Wochen gestillt. Ich möchte Dich gerne an meinen Erfahrungen teilhaben lassen und Dir erzählen, wie es dazu kam. Aber eins vorweg: Ich habe mich nach einiger Unsicherheit bewusst dazu entschieden, kein schlechtes Gewissen zu haben.

“Tut mir leid” statt “Herzlichen Glückwunsch”

Nachdem mein Sohn geboren wurde, war oft eine der ersten Fragen, ob ich einen Kaiserschnitt hatte. Wenn ich dies bejahte, war die Reaktion meines Gegenübers oft ein “Tut mir Leid”. Anfangs war ich damit sehr überfordert, denn ich habe mich für diesen Kaiserschnitt entschieden. Als der errechnete Geburtstermin immer näher rückte, wurde auch meine Angst immer größer. Ich denke heute, dass Theo das gespürt hat und deshalb nicht kam. Auch eine Woche nach dem errechneten Geburtstermin lag Theo nach wie vor viel zu weit oben. Zu diesem Zeitpunkt konnte mir der Arzt auch nicht sagen, woran das lag. Bei einer Kontrolluntersuchung fragte er mich, ob ich denn mein Baby per Kaiserschnitt gebären möchte. Ich stimmte zu und sofort fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen. Wir vereinbarten, dass der Kaiserschnitt noch am selben Tag stattfinden würde. Bei der Geburt stellte sich heraus, dass Theo die Nabelschnur drei mal um den Hals gewickelt hatte und ich war sehr froh, die Entscheidung für einen Kaiserschnitt getroffen zu haben. 

Ich weiß, dass es Frauen gibt, die sich eine natürliche Geburt wünschen und diese nicht “bekommen”, was mir für diese Frauen natürlich sehr leid tut. Ich finde es aber sehr übergriffig, davon auszugehen, dass sich jede Frau eine natürliche Geburt wünscht. Die negative, wenn auch wahrscheinlich gut gemeinte, Reaktion „Tut mir leid“ auf meinen Kaiserschnitt hat mich verletzt und mir das Gefühl gegeben, etwas falsch gemacht zu haben. Durch solche Reaktionen wird großer Druck auf Frauen ausgeübt, für die keine natürliche Geburt möglich ist, oder auf Frauen, die keine natürliche Geburt wollen. Und auch das ist völlig in Ordnung, denn es ist einzig und allein die Entscheidung der Frau, die das Baby in ihrem Bauch trägt.

Ich habe auch andere Reaktionen erfahren, die noch härter als “Tut mir Leid” waren. Ich musste mir auch Sprüche, wie “Das war also keine richtige Geburt” oder “Da hast du es dir aber leicht gemacht” anhören. Ja, wer denkt, sich den Bauch aufschneiden zu lassen, bedeutet “leicht gemacht”, der kann das ja gern mal probieren. Prinzipiell finde ich es unfair, Geburtserfahrungen zu vergleichen und vor allem zu bewerten. Trotzdem ist es erstaunlich und erschreckend, wie viele (auch fremde) Menschen sich das Recht nehmen, mir ihre bevorzugte Gebärmethode mitzuteilen und mich danach zu fragen, durch welche Öffnung mein Kind das Licht der Welt erblickte. Diskretion ist etwas anders.

Vor allem Schwangere und frischgebackene Mütter befinden sich in einer sehr empfindsamen Lebensphase, in welcher sie besonders sensibel sind – es heißt also Rücksicht nehmen, statt verurteilen. Wichtig ist doch, dass jede Geburt einzigartig ist und völlig unterschiedlich empfunden werden kann. Was aber alle vereint ist, dass mit der Geburt ein neues Leben beginnt – ein magischer Moment. 

Wurzeln im Patriarchat 

Mir stellt sich die Frage, wo dieser Zwang zur natürlichen Geburt seinen Ursprung hat. Recherchen haben ergeben, dass deren Wurzeln im Patriarchat liegen. Das heißt, dass Frauen gewohnt sind, gewisse Rollen zu erfüllen. Und eine der wichtigsten Rollen einer Frau ist es, Kinder zu gebären. In dem Zusammenhang wird ein (unnatürlicher) Kaiserschnitt als Verrat an der Rolle der Frau als Mutter verstanden. Ganz nach den Regeln des Patriarchats wird der Frau hier das Recht zur Selbstbestimmung abgenommen. Eine Frau wird in diesen Denkmustern nicht als Individuum gesehen, sondern als die Person, die das Kind austrägt und gebärt: Sie steckt schon bei der Geburt und am besten auch später im Leben als Mutter, ihre eigenen Wünsche zurück.

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Gründe für einen Kaiserschnitt

Ein weiterer Grund, warum ich verurteilende Reaktionen auf einen Kaiserschnitt sehr übergreifend und verletzend finde, ist die Frage, weshalb sich eine Frau für einen Kaiserschnitt entscheidet. Mögliche Gründe können sein:

  • Angst vor Spätschäden der natürlichen Geburt
  • Angst um die Gesundheit des Kindes
  • Vergangenes Erlebnis einer Fehl- oder Totgeburt
  • Vorausgegangenes, traumatisches Geburtserlebnis
  • Angst vor Autonomieverlust
  • Angst vor den Schmerzen und Geburtsverletzungen
  • Erlebte Gewalt, seelische Misshandlungen, Missbrauch
  • Kein Vertrauen in das medizinische Personal
  • Krankheiten, die sich negativ auf die Geburt auswirken können
  • Zu enges Becken
  • Verstrichener Geburtstermin, erfolglose Einleitung

Wie Du siehst, können die Gründe für einen Kaiserschnitt sehr unterschiedlich sein. Keiner kann in den Kopf einer Frau hineinschauen und weiß nicht, welches Trauma sich eventuell hinter der Entscheidung verbirgt. Und auch wenn sich eine Frau “einfach nur” aus Angst vor den Schmerzen für einen Kaiserschnitt entscheidet, sollte das akzeptiert werden. 

“Du hast nur 6 Wochen gestillt?”

Ähnliche Reaktionen habe ich bekommen, nachdem ich meinen Sohn nach nur 6 Wochen abgestillt habe. Dies war keine bewusste Entscheidung von mir und es hat mich anfangs sehr beschäftigt, dass ich nicht in der Lage bin, mein Baby zu versorgen. Und die Reaktion “Du hättest es nur weiter probieren müssen” half in der Situation nicht, sondern hat nur noch mehr zu meinem Schuldgefühl beigetragen. 

Prinzipiell geht es einfach auch keinen etwas an, wie oft, wie lange oder ob ich mein Kind stille. Wenn Du Dein Kind stillen möchtest bis es 4 ist, dann ist das ganz allein Deine Entscheidung. Und auch eine Frau, die ihr Kind schlichtweg nicht stillen möchte, hat das Recht diese Entscheidung für sich und ihr Kind zu treffen. Ich habe Freundinnen, die nicht stillen wollten, weil sie nach 9 Monaten Schwangerschaft die Kontrolle und Autonomie über ihren Körper zurück wollten. Das klingt vielleicht egoistisch und vielleicht ist es das auch, aber ich denke, diese Frauen lieben ihr Baby nicht weniger. Ein glückliches Kind bedarf einer glücklichen Mutter.

Nachdem ich meinen Frieden damit gemacht habe, konnte ich es auch genießen, meinem Sohn die Flasche zu geben. Und ich erkannte schnell die Vorteile, denn so konnten mir meine Freunde dabei helfen und ich schaffte es ab und zu auch mal mehr als eine Stunde am Stück zu schlafen. Denn was hilft es dem Baby, wenn die Mutter total am Ende ist oder sich unter Schmerzen quält. Ich habe Freundinnen, die wochenlang geweint haben, jedes Mal wenn sie ihr Baby an die Brust gelegt haben. Natürlich habe ich auch Freundinnen, die es geliebt haben oder es lieben zu stillen, und das ist wunderschön. Aber auch Stillen ist ein individueller Prozess und sollte doch für Kind und Mutter eine angenehme oder zumindest auszuhaltende Erfahrung sein. Und die Angst beim Stillen zu versagen hilft sicherlich nicht, den Druck eine schlechte Mutter sein zu können von jungen Müttern zu nehmen.

Während ich Theo gefüttert habe, haben wir natürlich trotzdem gekuschelt und er hat die Geborgenheit und Liebe auch ohne meine Brust gespürt.

Fazit

Mir fehlt das Verständnis dafür, warum Mütter oder Menschen allgemein sich nicht einfach gegenseitig unterstützen können. Sicher ist doch, dass jede Mutter das Beste für ihr Kind möchte. Wir sollten die Entscheidungen Anderer akzeptieren, denn gerade Schwangere und junge Mütter stehen doch schon unter genug Druck. Ich würde alles wieder genauso machen, denn ich habe heute kein schlechtes Gewissen mehr.

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