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„Ist doch nichts passiert!“ – Warum Du diesen Satz nie wieder zu Deinem Kind sagen solltest


Mein
Sohn rennt, klettert und tobt den ganzen Tag. Wenn er dabei hinfällt und weint, dann nehme ich ihn hoch und tröste ihn. Allerdings weiß ich auch, dass das nicht alle Eltern so handhaben. Oft fällt ganz schnell der Satz „Ist doch nichts passiert“ oder „Ach, nicht so schlimm“. Aber warum reagieren Eltern so? Welche Folgen kann das möglicherweise nach sich ziehen? Und wie geht es eigentlich richtig, das Kinder Trösten? All das möchte ich Dir hier erklären.

Warum Du „Ist doch nix passiert“ nie wieder sagen solltest

Kinder fallen oft hin, sie haben noch nicht so gute motorische Fähigkeiten und sind schnell abgelenkt. Gleichzeitig haben sie noch wenig Erfahrung mit körperlichen Schmerzen und anderen starken Emotionen. Sie können noch nicht einschätzen, wie schlimm die Situation wirklich ist oder wann der Schmerz nachlässt. Kleine Kinder leben vor allem im Moment und in diesem tut es einfach weh. Wenn mein Kind weint, dann ist in seiner Welt offensichtlich etwas passiert! Punkt.

Das passiert im Kopf Deines Kindes

Wenn wir als Eltern dann behaupten, es sei nichts passiert, verneinen wir die Gefühle unserer Kinder. Tun sie als etwas ab, was keiner Beachtung bedarf. Als sei wirklich „nix passiert“. Vor allem im Baby- und Kleinkindalter vertraut ein Kind seinen Eltern bedingungslos, es ist ja noch mit Haut und Haar auf ihre Fürsorge und Anleitung angewiesen. Wenn Mama sagt, „Ist doch nix passiert“, dann nimmt ein Kind das erst einmal als wahr hin. Allerdings steht diese Wahrheit im Kontrast zum eigenen Körperempfinden, zum Schmerz – und sei der noch so klein. Eine mögliche Konsequenz daraus wäre, dass das eigene Körperempfinden falsch ist. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein Kind lernt, Schmerzen einfach zu ignorieren und eigene Gefühle zu unterdrücken.

In einer gesunden kindlichen Entwicklung dagegen lernt ein Kind mit der Zeit, seine eigenen Gefühle richtig einzuordnen und zu verbalisieren. Das ist nur möglich, wenn ihm dieser Vorgang nicht von Anfang an abgenommen wird. Denn wie können wir von außen adäquat beurteilen, ob ein Sturz schwer war oder „gar nicht weh tut“?

Richtig trösten: Gefühle zulassen statt wegreden

  • Anstatt also vorzugeben, was schlimm ist und was nicht, sollten wir einfach unser Kind in den Arm nehmen, zuhören und abwarten, bis es besser wird. Denn ein Kind, das von seinen Eltern in seinem Schmerz und seinen Gefühlen ernst genommen wird, entwickelt im besten Fall ein gesundes Urvertrauen in seine Bezugspersonen und seine eigenen Gefühle. Auch Empathie zeigen, die Gefühle Anderer ernst nehmen, fällt leichter, wenn man die eigenen Gefühle nicht wegdrücken muss.
  • Genau so funktioniert es auch mit seelischem Schmerz. Wenn Deinem Kind etwas weggenommen wurde oder es etwas nicht haben darf, reagiert es vielleicht mit einem noch viel schrilleren und wütenderen Weinen, als wenn es hingefallen ist. Denn Gefühle wie Wut, Trauer, Enttäuschung oder Ungerechtigkeit können mindestens ebenso stark sein, wie körperlicher Schmerz. Sie tun auch weh. Auch da ist nicht „nix passiert“. Dein Kind ist aufgebracht, in seinen Augen ist sehr wohl etwas passiert!
  • Nicht zuletzt bedeuten Schmerzen jeder Art für ein Kind großen Stress. Das hat Auswirkungen auf den Körper, es werden Stresshormone freigesetzt. Diese schwächen das Immunsystem und wirken sich negativ auf die Gehirnentwicklung aus. Wenn wir trösten, lässt der Stress nach und es werden durch Körperkontakt oder die Stimme der Mutter Bindungshormone ausgeschüttet, die sich wiederum positiv auf die Entwicklung auswirken.

Warum behaupten wir, es sei nichts passiert?

Erlernte Verhaltensweisen setzen sich fort

Doch woher kommt es dann, dass Eltern in vielen Situationen behaupten, es sei „doch nix passiert“? Wie so viele unserer Verhaltensweisen haben wir das aus unserer eigenen Kindheit von unseren Eltern oder anderen engen Bezugspersonen übernommen. Über viele Generationen herrschte in Sachen Kindererziehung die Meinung vor, man müsse Kinder, ja schon Babys, möglichst früh auf das Leben vorbereiten, indem man sie „abhärte“. Diese Ansicht haben wir nicht zuletzt einer Erziehungs-Propaganda aus dem dritten Reich zu verdanken, doch auch in anderen Ländern herrschte in den Generationen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine gewisse emotionale und körperliche Härte gegenüber Kindern. Oft bedeutet das auch, dass Eltern schlichtweg nie gelernt haben, wie man Kinder angemessen tröstet. Und vor allem bedeutet das, dass diese Eltern niemals aus bösem Willen oder Hartherzigkeit handeln, sondern es einfach nicht besser wissen und kennen.

Wir reden den Schmerz klein – weil er uns überfordert

Ein anderer Grund, aus dem Dir vielleicht ein „Ist doch nichts passiert“ oder ein „nicht schlimm!“ rausrutscht: Du wünschst Dir, dass sich das Kind dadurch schneller beruhigt. Wir sagen, „halb so wild“ oder „tut doch gar nicht weh“, damit unser Kind den Schmerz als weniger schlimm wahrnimmt und aufhört zu weinen. Denn wenn das eigene Kind weint, kommen auch bei uns Gefühle hoch — die uns vielleicht überfordern und die wir zu unterdrücken versuchen, eben weil wir es nicht anders gelernt haben. Doch im Endeffekt belügen wir so nicht nur unser Kind, sondern uns selbst — und bringen ihm unbewusst bei, Emotionen wegzuschieben.

 

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Starke Bindung stärkt den Menschen langfristig

Heute weiß man, dass genau das gegenteilige Verhalten Kinder auf das Leben vorbereitet: Nicht ignorieren, abhärten und trainieren macht Kinder stark und gesund. Die sogenannte Resilienz, also die Widerstandskraft der Seele, bildet sich vor allem durch eine stabile Bindung zu mindestens einer Bezugsperson in der frühen Kindheit, Urvertrauen und das Gefühl, ernst genommen zu werden. Nicht-Trösten schadet der Eltern-Kind-Bindung. Kurz gesagt, bindungsorientierte Erziehung und Trösten sorgt dafür, dass Dein Kind auch im Erwachsenenalter psychisch und körperlich gesund bleibt. Die Angst, die hinter dem Nicht-Trösten vieler Eltern steckt, dass ihre Kinder dadurch verzärtelt und zu „Weicheiern“ werden, ist also nicht nur unberechtigt, sondern genau kontraproduktiv.

Liebevolle Alternativen zu „Ist doch nix passiert“

Egal, was genau Du tust und sagst, wenn Dein Kind weint, die Botschaft an das Unterbewusstsein Deines Kindes sollte lauten:

„Ich bin da, ich sehe Dich und ich nehme Deine Gefühle ernst.“

Vielleicht machst Du das, so wie ich, schon ganz selbstverständlich und intuitiv, weil Du es von Deinen Eltern selbst so erlebt hast. Andernfalls hilft es Dir vielleicht, Dir vorab ein paar Sätze zurecht zu legen, die Du verwenden kannst. So fällst Du weniger leicht in erlernte Reaktions- und Erziehungsmuster zurück. Bei körperlichen Schmerzen kannst Du es zum Beispiel damit versuchen:

  • Hast Du dir weh getan?
  • Komm her, ich schau mir das mal an.
  • Tut es sehr weh oder hast du dich vor allem erschrocken?
  • Komm zu mir, ich tröste dich.
  • Keine Angst, der Schmerz lässt bald nach.
  • Sollen wir ein Pflaster drauf machen?

In Situationen mit anderen starken Gefühlen wie z.B. einem Wutanfall hilft es Deinem Kind ebenfalls, wenn Du es in den Arm nimmst und sagst, dass die Gefühle verständlich und richtig sind:

  • Du hast xyz so gerne gewollt und ich habe es nicht erlaubt. Ich verstehe, dass dich das wütend macht.
  • Das hast du nicht mit Absicht kaputt gemacht, ich weiß. Trotzdem ärgerlich.
  • Du würdest gerne noch weiter spielen, aber wir müssen jetzt ins Bett. Es ist okay, wenn dich das aufregt.
  • Das tut mir leid, dass dich das so ärgert.
  • Es ist okay, zu weinen, wenn man traurig ist.
  • Ich trage dich, bis es dir besser geht.

Was Du sonst noch über das Trösten wissen solltest

Lieder und Trostsprüche

Vielen Kindern hilft es auch, immer denselben Spruch oder dasselbe Lied zu hören. Die liebevolle Stimmer der eigenen Mutter kann unheimlich tröstend sein. Wir singen zum Beispiel oft „Heile, heile Segen“. Aber auch „Heile, heile Gänschen“ oder andere Tröstelieder funktionieren sicherlich genauso gut.

Dein Kind hört Dich nicht

Für Worte und große Erklärungen sind Kinder in einem solchen Moment übrigens oft gar nicht aufnahmefähig. Sie werden so übermannt von ihren Gefühlen, dass ihre kognitiven Fähigkeiten völlig in den Hintergrund treten. Eine Erklärung, warum das jetzt passiert ist oder wie sie es beim nächsten Mal vermeiden, solltest Du also erst geben, wenn sich Dein Kind beruhigt hat. Deshalb ist es auch so wichtig, nicht nur verbal, sondern auch körperlich zu reagieren, d.h. zu Deinem Kind zu gehen und es hochzuheben, wenn es das zulässt.

Weinen als Manipulation?

Manchmal haben wir als Eltern auch das Gefühl, dass unsere Kinder uns durch ihr Weinen manipulieren wollen bzw. dadurch ihre Ziele zu erreichen versuchen. Natürlich können sich in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern auch solche Verhaltensweisen einschleichen, in der Regel ist das aber nicht der Fall, vor allem nicht, wenn sie noch sehr klein sind. Meistens weinen Kinder wirklich, weil sie Schmerzen haben oder weil sie von ihren Gefühlen übermannt werden. Denn aus Kalkül zu weinen, erfordert auf jeden Fall sehr viel kognitive Anstrengung von einem Kind. Das Weinen wäre dann ein anderes, ein kontrolliertes. Und Dein Kind wäre währenddessen für verbale Ansprache empfänglich.

Wenn ich bei meinem Dreijährigen Sohn hin und wieder das Gefühl habe, dass er nur weint, um etwas zu bekommen, dann spreche ich mit ihm. Ich erkläre ihm, dass es völlig okay ist, wenn er wütend ist und deshalb laut weint. Und dass ich gerne tröste. Aber dass das nichts an der Situation ändern wird und er xyz trotzdem nicht bekommen wird.

Weinen als Bitte um Aufmerksamkeit?

Manchmal steht auch im Raum, dass ein Kind übermäßig „heult“, nur um Trost und Aufmerksamkeit seiner Eltern zu bekommen. Wenn das stimmt, dann sollten wir uns als Eltern überlegen, warum ein Kind zu solchen Maßnahmen greift. Die wahrscheinlichste Antwort ist, dass es einfach gerade eine Extra-Portion Zuneigung und Kuscheln braucht. Was also spricht dagegen, ihm diese auch zu gewähren?

Und wenn wirklich nix passiert ist?

Bitte versteh mich nicht falsch. Das bedeutet nicht, dass Du wegen jeder Kleinigkeit, die Du beobachtest, sofort laut rufend zu Deinem Kind rennen und es trösten musst. Denn oft passiert einfach wirklich einfach nichts. Oder Dein Kind ist zu vertieft in sein Spiel, um kleinere Schmerzen überhaupt wahrzunehmen.

Deshalb sieh hin, bevor Du tröstest.

Wenn Dein Kind fällt und Dich ansieht, aber nicht weint, reicht vielleicht ein „Alles okay?“ aus. Wenn Du aufspringst und es hochnimmst, passiert im Kopf des Kindes vielleicht Folgendes: Es sieht, dass Mama bzw. Papa große Angst hat. Es muss also etwas passiert sein, schließlich sind Eltern seine Bezugspunkte in dieser Welt, ihre Reaktionen und Worte sind richtig und wichtig. Dein Kind hört in sich hinein, spürt einen leichten Schmerz – und nimmt ihn als viel stärker wahr. Vielleicht erschrickt es auch über die Reaktion seiner Bezugsperson und fängt dadurch an zu weinen. In jedem Fall nimmt es wahr, dass etwas passiert ist – obwohl ursprünglich vielleicht in seiner Welt nichts passiert ist.

In letzter Konsequenz führt das möglicherweise dazu, dass ein Kind ängstlicher und vorsichtiger durch die Welt geht, als es eigentlich seiner Entwicklung entsprechen würde – denn immerhin kann es auf die eigene Wahrnehmung von Schmerz und Gefahren offensichtlich nicht so sehr vertrauen.

Vorsichtiges Trösten

Wenn mein Sohn hinfällt oder sich stößt, gehe ich darum immer so vor:

  1. Ich warte ab und beobachte ihn.
  2. Wenn er mich ansieht, frage ich, ob er sich weh getan hat.
  3. Wenn er leicht weint, aber von selbst wieder aufsteht, gehe ich in die Knie und öffne meine Arme. Ich sage ihm, dass er zu mir kommen soll und ich ihn tröste. Wenn es wirklich gar nicht so weh tut, hört er in vielen Fällen wieder auf zu weinen und spielt weiter.
  4. Wenn er stark weint und nicht zu mir kommen möchte bzw. kann, gehe ich rasch zu ihm, hebe ihn hoch und tröste ihn wie oben beschrieben.

Mein Fazit: Gefühle ernst nehmen ist der beste Trostspender

Kurz gesagt ist es für die Entwicklung Deines Kindes also am besten, wenn Du versuchst wahrzunehmen und zu spiegeln, wie es sich tatsächlich fühlt. Und ihm keine voreingenommene Reaktion auf seinen körperlichen oder seelischen Schmerz vorgibst. Denn es geht nicht darum, ob in Deiner Wahrnehmung und Einschätzung als Erwachsener etwas passiert ist oder nicht. Vielmehr zählt, ob Dein Kind Schmerzen, Angst oder andere Gefühle wahrnimmt und dass es allmählich selbst lernt, diese einzuschätzen und richtig einzuordnen.

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2 Kommentare zu “„Ist doch nichts passiert!“ – Warum Du diesen Satz nie wieder zu Deinem Kind sagen solltest

  1. So einen Bullshit und Akademiker Müll habe ich noch nie gehört.

    Leider habe ich das live vor zwei Wochen in Berlin gehört – weil ein Kleines Mädchen vom Roller fiel. Nicht weinte sondern nach der Mutter rief – die sofort da war. Da sagte der Vater genau den Totessatz für die Psyche “ Ist ja nichts passiert“ und er verbesserte sich direkt laut – Oh das darf man ja nicht sagen.

    Und seine Frau giftete sofort zurück ( mit der Tochter im Arm) “ genau das sagt man nicht mehr“ – ich Glaube damit wurde das Gehirn der Kleinen vollkommen zerstört.

    Ich bin schallend laut lachend daran vorbei gegangen und sagt genauso „Laut“ – jetzt Knallen die Deutschen vollkommen durch.

    Ihr seit krank – mehr nicht…..

  2. Danke für diesen tollen Artikel mit guten Tipps. Ich habe schon öfters gemerkt dass ich und mein man falsch reagieren vor allem weil unser Sohn sehr viel weint wenn etwas nicht klappt und so. Rückblickend weiß ich jetzt, dass wir in der Erziehung einiges falsch gemacht haben und vor allem in unseren Reaktionen und mit dem was wir sagen weil wir es selbst vielleicht so erfahren haben und es nicht anders wussten. Aber mehr und mehr habe ich gemerkt dass das nicht gut ist für unseren Sohn und unsere Beziehung zu ihm. Und suche immer noch gute Tipps wie man es jetzt ändern kann dass wir unseren Sohn wieder stärken und besser behandeln. Und diese Tipps sind gut weil man auch oft nicht weiß wie man eigentlich richtig reagiert.

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