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Muss ein Baby brav sein? Unsere Hebamme sagt Nein


Fast jede Mutter kennt das: Auf dem Spielplatz, beim Einkaufen oder in der Krabbelgruppe – nahezu überall bekommst Du (ungefragt) Feedback zum Verhalten Deines Babys.

„Du hast aber ein braves Kind“

„Oh, ist der aber lieb“

Oder eben Gegenteiliges.

Aber wann ist denn ein Baby „brav“ – und muss ein Baby überhaupt brav sein? Wer definiert brav sein bei Babys überhaupt? Und wie kannst Du das bei Deinem Baby erreichen?

Was ich von der ganzen Diskussion um brave Babys und „liebe“ Säuglinge halte und warum junge Mütter sich nicht unter Druck setzen lassen sollten, darum geht es in diesem Beitrag.

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Der Mythos vom „braven“ Baby

Ich erlebe bei Hausbesuchen im Wochenbett immer wieder, dass Eltern stolz berichten, ihr wenige Tage altes Baby sei „sehr brav“. Erfahrungsgemäß bedeutet das meistens: Es trinkt, es macht in die Windel und schläft wieder. „Brav sein“ wird also häufig gleichgesetzt mit „still sein“ oder pflegeleicht sein.

Ich erkläre den glücklichen Eltern dann meistens, dass es Sinn macht, diesen Zustand zu genießen, da er in der Regel nicht von Dauer ist.

Babys brauchen etwa zwei Wochen, um überhaupt „anzukommen“ auf der Welt. Das heißt, Temperament und Charakter kristallisieren sich erst mit der Zeit langsam heraus.

Ob Eltern dann ihr Baby als „brav“ empfinden, hängt in meinem Augen eher mit der elterlichen Einstellung als mit dem Verhalten des Kindes zusammen.

Also doch: entspannte Eltern = braves Baby?

Auch diesen Spruch hören junge Eltern relativ häufig.

Er schmeckt umso bitterer, wenn man eben kein braves, entspanntes Baby hat, womöglich sogar ein High Need Kind. Denn dann hat man neben dem eigenen Gefühl der Unzulänglichkeit auch noch die Bestätigung von außen, dass man selbst Schuld ist.

Ich erlebe immer wieder Eltern, die davon ausgehen, ein gefüttertes, gewickeltes Baby habe ja eigentlich keinen Grund, sich zu „beschweren“. Und andere Babys seien eben “ brav“, weil sie sich zum Schlafen ablegen lassen.

Ich bin immer wieder überrascht und entsetzt davon, welche Erwartungen Eltern an ihre wenige Tage oder Wochen alten Säuglinge stellen. Oftmals lautstark unterstützt durch die Generation Oma und Opa:

„Dich haben wir früher auch nicht stundenlang rumgetragen“

„Wenn Sie sauber und satt ist, kannst Du sie ruhig auch mal schreien lassen“

„Ein Baby gehört in sein eigenes Bett“

Und so weiter und so fort.

Wie Du ein „braves“ Baby bekommst

Ich kann es nicht oft genug sagen, denn es ist mir einfach so, so wichtig: Lass Dich als junge Mama nicht verunsichern und vertraue Deinem Mutterinstinkt. Ich kenne nämlich wenig Mütter, die von sich aus den Impuls verspüren, ihr schreiendes Baby allein zu lassen.

Ein Baby kann man nicht verwöhnen und ein Baby ist auch nicht „brav“ oder „böse“.

Ein Baby hat tausend Bedürfnisse, wie wir Großen eben auch. Oder ist für Dich jeder Tag, an dem Du gegessen und getrunken hast und auf dem Klo warst ein guter?

Im Leben gibt es neben diesen absoluten Grundbedürfnissen doch noch so viel mehr.

Und nur weil wir unsere Babys manchmal nicht auf Anhieb verstehen, heißt das nicht, dass sie uns ausspielen oder manipulieren wollen.

Sie wollen einfach nur ihr Überleben sichern. Und dazu gehört eben auch, dass auch Bedürfnisse wie das nach Nähe und Geborgenheit, Ruhe oder einer Hand, die Kummer und Schmerz wegstreichelt, erfüllt werden.

Je besser Du auf die Signale reagierst, desto gelassener wird Dein Kind

Im Bauch hat Euer Baby sich niemals allein gefühlt, denn es war immer ganz nah bei Dir. Und diese Nähe vermisst es, vor allem in den ersten Wochen. Hier ist alles neu und fremd, und täglich ist Dein Kind Tausenden von Reizen ausgesetzt, die es nicht einordnen kann.

Ist die schrille Stimme von Tante Inge nur unangenehm oder vielleicht sogar gefährlich?

Riecht das Aftershave von Onkel Fred nur seltsam oder ist es womöglich giftig?

Dein Baby muss erst lernen, sich in der Welt zurecht zu finden – und dazu braucht es Dich. Du gibst ihm in vermeintlichen Gefahrensituationen die Sicherheit, die es braucht, um sie durchzustehen.

Und je öfter es die Erfahrung macht, dass es nicht allein ist, umso gelassener wird es irgendwann werden.

Wenn man „brav“ sein also gleich setzen möchte mit „entspannt“ sein, dann ist mein Tipp an Dich, wenn Du das erreichen möchtest, ein ganz einfacher:

Lerne Dein Baby kennen, versuche, seine Bedürfnisse zu verstehen und setz alles daran, diese Bedürfnisse zu erfüllen.

Warum „brav“ sein manchmal sogar gefährlich ist

Gerade in den ersten Tagen schrillen bei mir als Hebamme oft eher die Alarmglocken, wenn ich höre, ein Baby sei „extrem brav“. Denn wenn Eltern eines Säuglings von 8 bis 12 Stunden Nachtschlaf am Stück berichten, ist das für mich eher ein Zeichen, mir das Baby ganz genau anzuschauen.

Gesunde, reif geborene Kinder sollten sich alle 2 bis 6 Stunden melden. Das hat die Natur so vorgesehen, damit die Milchmenge gut reguliert wird und das Baby ausreichend zunimmt.

Schlafen kleine Babys deutlich länger oder liegen auch acht Stunden nach der letzten Mahlzeit still in ihren Bettchen, ohne sich zu beschweren, kann das eher ein Zeichen für eine Erkrankung oder ein Alarmsignal für eine Gedeihstörung sein.

Gerade in den ersten Lebenstagen muss dann immer eine Neugeborenengelbsucht oder auch eine Infektion ausgeschlossen und der Gesamtzustand des Kindes kontrolliert werden.

Ein Baby, das lautstark seine Bedürfnisse anmeldet, ist also auch etwas Gutes.

Zudem zeigen Untersuchungen, dass Babys, die in der Nacht häufiger wach werden und öfter nach Nahrung verlangen, seltener am plötzlichen Kindstod (SIDS) sterben.

Fazit: Ein Baby ist weder brav noch böse

Wenn Dich das nächste Mal eine Mama oder Oma beim Spaziergang mit dem Kinderwagen fragt, ob Dein Baby schon durchschläft, ob es „brav“ ist oder viel weint, dann kannst Du Dir (und evtl. auch ihr) einfach sagen, dass Dein Baby eben Dein Baby ist. Einzigartig, besonders und auch nicht jeden Tag gleich. Aber nichts von dem, was es tut, macht es, um Dich zu provozieren, zu manipulieren oder Dir auf die Nerven zu gehen. Es kann einfach nicht anders.

Und wenn Du das annehmen und verinnerlichen kannst, verlieren viele anstrengenden, nervtötenden und Kräfte zehrenden Situationen ihren Schrecken. Du musst Dich gar nicht immer fragen, „Warum tut mein Baby das?“ oder „Wie kann ich erreichen, dass es aufhört?“, denn darauf gibt es (leider) ganz oft nicht die eine ultimative richtige Antwort. Und dann kosten diese Gedanken Energie und Kraft, die Du anderweitig einsetzen kannst.

Vielmehr kannst Du schauen, was Dir gut tut, was Euch beiden gut tut und was bei Deinem Baby am Besten funktioniert.

Das fängt bei einer kurzen Auszeit für Dich an, in der Dein Partner oder eine sonstige Bezugsperson das (schreiende) Baby übernimmt und hört mit einer guten Tragehilfe auf, die es Dir vielleicht ermöglicht, notwendige Aufgaben im Alltag zu bewältigen und Deinem Baby trotzdem die Nähe zu geben, die es braucht.

In jedem Fall ist die Hebamme ein guter Ansprechpartner, wenn Du Fragen rund um Babys „Erziehung“ hast. Sie kann Dir sicher auch den ein oder anderen Tipp geben, wie Du zu mehr Gelassenheit und vielleicht auch einem „braveren“ Baby kommst ;-)

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