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„Vaginal Seeding“: Wie sinnvoll ist der Geburts-Trend wirklich?


Immer mehr Kinder kommen weltweit per Kaiserschnitt zur Welt – in Deutschland fast jedes dritte Baby. Während über die Ursachen hierfür in verschiedene Richtungen diskutiert wird, ist es höchste Zeit, sich über die Auswirkungen auf die Gesundheit dieser Kinder Gedanken zu machen und praktikable Lösungen zu finden. Denn Kinder, die per Sectio zur Welt kommen, haben eine andere, schwächere Darmflora als Kinder, die den Geburtskanal passieren. Das kann im späteren Leben zu einem schwächeren Immunsystem und einer erhöhten Anfälligkeit für Allergien führen. Auch Diabetes oder Übergewicht werden durch eine schlechte Darmflora begünstigt.

In den USA, Kanada und Australien gibt es seit einigen Jahren einen Trend, der diesen Nachteilen für Kaiserschnittkindern entgegen wirken soll: Durch das „Vaginal Seeding“ wird Neugeborenen eine „Bakteriendusche“ verpasst, die sie sonst im Geburtskanal durch das Scheidensekret der Mutter erhalten würden. Auch in Deutschland bieten immer mehr Geburtskliniken vaginal seeding an. Was genau sich hinter diesem Trend verbirgt und ob er hält, was er verspricht, erfährst Du in diesem Artikel.

Was ist Vaginal Seeding?

Von „Vaginal Seeding“ (übersetzt „Vaginales Säen“) spricht man in der Geburtshilfe, wenn ein Kaiserschnittbaby direkt nach der Geburt mit Vaginalsekret der Mutter bestrichen wird. Oft spricht man auch von einer „vaginalen Impfung“. Dazu wird einige Zeit vor der Sectio ein mit sterilem Salzwasser getränktes Baumwolltuch in die Vagina der Mutter eingeführt und so mit Sekret und Bakterien aus der Scheide getränkt. Unmittelbar nach der Geburt im OP wird das Neugeborene am ganzen Körper mit diesem Tuch abgetupft. Einige Tropfen werden auch in Augen und Mund des Babys ausgewrungen.

Auf diese Weise soll der Aufbau einer gesunden Darmflora gefördert und das Risiko für Allergien, Immunschwächen und andere Krankheiten vermindert werden.

Warum wird Vaginal Seeding immer beliebter?

Das hört sich vielleicht erst einmal eklig an, ist aber im Grunde genommen das Nachahmen eines ganz natürlichen Vorgangs, den Kaiserschnitt-Babys normalerweise verpassen. Denn bei einer natürlichen Geburt passieren Babys den Geburtskanal, an deren Ende die Vagina liegt. Dort kommen sie von oben bis unten mit dem Vaginalsekret der Mutter und auch den Bakterien am Anus in Kontakt und nehmen diese sowohl über die Haut als auch oral auf.

Weil ein Baby beim Kaiserschnitt aus dem Körper der Mutter geholt wird, versäumt es diese Bakteriendusche.

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Welche Auswirkungen haben „Geburts-Bakterien“ auf das Immunsystem?

Die Bakterienbesiedelung auf der Haut und im Darm von Kaiserschnittkindern unterscheidet sich erwiesenermaßen stark von denen natürlich geborener Kinder. Denn nach aktuellem Stand der Forschung ist der Mensch im Mutterleib völlig keimfrei und besteht zu 100% aus menschlichen Zellen. Mit der Geburt verändert sich das für den Rest des Lebens. Sowohl auf der Haut, als auch im Verdauungstrakt eines jeden Menschen tummeln sich Millionen Bakterienkolonien.

Etwa 90% aller Zellen am und im Körper eines erwachsenen Menschen sind Mikroben.

Aktuelle Forschungen haben ergeben, dass diese mikrobiellen Mitbewohner, deren Gesamtheit man als Mikrobiom bezeichnet, entscheidend über unsere Lebensqualität mitbestimmen. Während die richtige Bakterienbesiedlung uns viele Vorteile in der Entwicklung, Gesundheit und Verdauung bringt, können die falschen Bakterien (Dysbiose) uns krank, unglücklich und sogar weniger intelligent machen. Die genauen Auswirkungen der Darmflora auf unser Leben wird derzeit noch untersucht, scheint jedoch gravierender zu sein, als angenommen.

Im Ökosystem Mensch übernehmen diejenigen Bakterien die Führung, die zuerst im Körper ankommen. Denn die ersten Pioniere können bisher unbewohnten Lebensraum für sich beanspruchen und sich ungehindert breit machen.

Kaiserschnittkinder sind anfälliger für Allergien

Mit diesem Wissen erklärt sich, warum Kinder, die durch Kaiserschnitt zur Welt kamen, im Durchschnitt anfälliger für Krankheiten und Allergien sind: Die ersten Bakterien, mit denen sie in Kontakt kommen, sind Hautbakterien und alle möglichen Mikroben aus dem OP. Vor allem für die Darmflora von Neugeborenen ist das erwiesenermaßen nicht förderlich.

Natürlich entbundene Kinder dagegen werden mit einem Bakteriencocktail aus Vagina und Darm ihrer Mutter in Kontakt gebracht. Diese Bakterien sind denen im Darm sehr ähnlich und haben sich über Jahrtausende der menschlichen Evolution erprobt und als nützlich erwiesen. Denn immerhin hat er die Mutter mehr oder weniger gesund ins gebärfähige Alter begleitet. Das Mikrobiom des Menschen hat sozusagen eine eigene Evolution durchgemacht: Menschen, die eine sehr nützliche Darm- und Hautbesiedlung aufweisen konnten, hatten eine deutlichen Vorteil und konnten so mit einer höheren Wahrscheinlichkeit überleben.

Was bringt „Vaginal Seeding“?

Die möglichen Vorteile

Bisher war das ein vermuteter Nachteil, der sich lebenslang auf Kaiserschnitt-Kinder ausgewirkt hat, dem Mütter aber relativ wenig entgegensetzen konnten. Mit der Methode des Vaginal Seeding dagegen lässt sich sich der Effekt der natürlichen Geburt zumindest teilweise nachahmen. Denn natürlich sind die allerersten Mikroben, die mit dem Baby in Berührung kommen, trotzdem die aus dem OP. Allerdings kommen die „richtigen“ Bakterien aus dem Vaginalsekret unmittelbar danach und haben zumindest die Chance, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen.

Denn ob Dein Kind dann tatsächlich eine gesunde Darmflora aufbaut und aufrecht erhalten kann, hängt nicht allein von der Geburt ab. In ihrem Buch zum Thema Darmgesundheit geben die Autoren Dr. Justin Sonnenburg und Dr. Erica Sonnenburg noch vier weitere wichtige Faktoren an:

  • Stillen
  • Ernährung
  • übertriebene Hygiene
  • Antibiotika-Einahme

Stillen und eine gesunde und zuckerarme Ernährung fördern eine gesunde Darmflora. Eine zu gut gemeinte Hygiene und die Einnnahme von Antibiotika können die Darmflora hingegen verschlechtern. Selbst wenn Dein Baby also durch einen Kaiserschnitt entbunden wurde und keine Bakteriendusche erhalten hat, gibt es noch Einiges, was Du zur Darmgesundheit Deines Babys beitragen kannst.

Vaginal Seeding: Erste Studien belegen positive Wirkung

Während es zu den gesundheitlichen Risiken von Kindern, die per Sectio zur Welt kamen, viele Forschungsergebnisse und Statistiken gibt, ist der Nutzen von „Vaginal Seeding“ bisher nicht wissenschaftlich belegt. Allerdings liegt aufgrund der Faktenlage die Vermutung nahe, dass sich die Bakteriendusche positiv auswirkt. Erste Ergebnisse einer laufenden Studie an der Universität New York bestätigen: Die Bakterienstämme in der Darmflora natürlich geborener Kinder und solcher, die per Kaiserschnitt mit Vaginal Seeding zur Welt kamen, sind identisch.

Kritik an Vaginal Seeding

Allerdings gibt es auch Kinderärzte und Experten, die vor einem Infektionsrisiko durch Vaginal Seeding warnen und deshalb davon abraten. Immerhin könnte man sein Baby dadurch auch mit anderen Keimen wie Herpesviren oder Chlamydien infizieren. Dieser Kritik sei allerdings entgegenzusetzen, dass dieses Infektionsrisiko auch bei einer natürlichen Geburt besteht. Außerdem gibt es Tests, die Mütter vorab durchführen lassen können — egal, ob sie danach natürlich entbinden oder per Kaiserschnitt mit Vaginal Seeding.

Kritik richtet sich in Deutschland auch gegen Kliniken, die sich der Mode aus den englischsprachigen Ländern anpassen und das Vaginal Seeding anbieten. Dabei handle es sich nur um ein Marketing-Instrument. Es werde angeboten, ohne klinische Studien, die nachweisen, dass der Trend nicht gefährlich ist.

Fazit: Möglicherweise hilfreich, eventuell gefährlich

Wenn Du nach einem Kaiserschnitt Vaginal Seeding praktizieren lassen möchtest, so musst Du das aktuell auf eigene Gefahr tun. Während es erste Ergebnisse gibt, die einen Nutzen bestätigen, gibt es noch keine Hinweise auf mögliche Gefahren. Deshalb raten viele Mediziner, stattdessen auf die bekannten Alternativen Stillen, richtige Ernährung und Verzicht auf Antibiotikabehandlungen zu setzen.

Auch, wenn Du gerne auf natürlichem Weg entbinden möchtest, kannst Du beim Vorgespräch in der Klinik nachfragen, ob dort Vaginal Seeding durchgeführt wird — und das gegebenenfalls auch in Deinen Geburtsplan aufnehmen. So wissen die Ärzte und Hebammen Bescheid, falls es zu einem ungeplanten Kaiserschnitt kommen sollte.
Vaginal Seeding - der neue Trend in der Geburtshilfe. Lies hier, was ➔ vaginal Seeding wirklich bringt und ob der Trend auch Gefahren birgt. #kaiserschnitt #baby #vaginalseeding

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