Du bist schwanger und möchtest Dich zum Thema Stillen bereits im Vorfeld informieren? Oder Dein Baby ist schon auf der Welt und Du fragst Dich, an welche Empfehlungen zum Thema „Wie lange Stillen“ Du Dich halten solltest?
Ich arbeite seit über 20 Jahren als Hebamme und erkläre Dir heute, inwiefern sich die Empfehlungen zur Stilldauer von WHO, Stillkommission, DGE und Deinem Kinderarzt / Deiner Kinderärztin möglicherweise unterscheiden – und welche persönliche Meinung ich zu diesem Thema vertrete.
Grundsätzlich: Wie lange Du stillst, ist Deine persönliche Entscheidung
Zunächst einmal die grundsätzliche Information: Ich bin „nur“ Hebamme, d.h. ich bin keine zertifizierte Stillberaterin und würde bei speziellen Fragen auch immer an eine solche verweisen. Allerdings bin ich im Rahmen meiner Tätigkeit verpflichtet, mich regelmäßig zum Thema Stillen und Abstillen weiterzubilden. Da ich seit über 20 Jahren in der Wochenbettbetreuung tätig bin, habe ich hier ein solides Maß an Erfahrung und Expertise.
Die Entscheidung, ob und wie lange Du stillen möchtest, ist durch und durch individuell. Und sie ist natürlich auch sehr von Deiner persönlichen derzeitigen Situation abhängig, d.h. sie kann sich auch mit jedem weiteren Kind verändern oder von Kind zu Kind unterscheiden.
Stillen – da ist sich die Wissenschaft einig – ist die beste Ernährung für einen Säugling und Muttermilch die Nahrung, die am allerbesten auf die Bedürfnisse Deines Kindes abgestimmt ist.
ABER: Nicht jede Frau kann und möchte stillen. Und wenn auf der Parkbank neben Dir eine Frau sitzt, die statt der Brust die Flasche auspackt, würde ich mir manchmal mehr Verständnis und weniger Übergriffigkeit wünschen. Denn Du weißt ja gar nicht, was der Grund ist, warum diese Frau ihr Kind nicht stillt. Und so intim und persönlich das Stillen ist, so ist auch die Entscheidung dafür oder dagegen eine sehr Persönliche. Das sollte man nie vergessen.
Egal, wie Du Dich entscheidest, ob und wie lange Du stillst, solltest Du Dich nicht rechtfertigen oder erklären müssen. Denn es ist schlichtweg allein Deine/ Eure Entscheidung. Und zu einer funktionierenden Stillbeziehung gehört manchmal eben auch ein bisschen Glück und die richtige Unterstützung.
Wie lange Stillen empfehlen WHO, Nationale Stillkommission und DGE?
Hier gibt es durchaus unterschiedliche Empfehlungen von unterschiedlichen Experten. Das macht es Dir als Stillanfängerin allerdings nicht unbedingt einfacher, Dich „richtig“ zu entscheiden.
Bedenke deshalb: Es handelt sich lediglich um Empfehlungen, die nicht für jede Mutter und jedes Baby richtig sein müssen.
WHO
Die Empfehlungen der WHO haben sich in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verändert. Der Grund dafür liegt nicht darin, dass sie einfach an alten Zöpfen festhalten und nicht mit der Zeit gehen, sondern dass sich global betrachtet eben diese Empfehlung als die sinnvollste etabliert hat.
Laut WHO wird auch heute noch empfohlen, ein Baby in den ersten 6 Lebensmonaten ausschließlich zu stillen. Neben fester Nahrung oder Brei wird auch die Gabe von Wasser oder Tee in dieser Zeit nicht empfohlen.
Darüber hinaus ist Stillen neben der Beikost laut WHO bis zum Alter von 2 Jahren oder darüber hinaus sinnvoll.
Hier im Magazin findest Du dazu bereits einen Artikel einer Kollegin WHO zum Thema Stillen – Die offiziellen Empfehlungen zur Stilldauer, der die wichtigsten Eckpunkte zusammenfasst.
Nationale Stillkommission
Auch die nationale Stillkommission sagt, dass ausschließliches Stillen innerhalb der ersten 6 Monate für die meisten Babys ausreicht. Mindestens vier Monate lang sollten Mütter nach Möglichkeit voll stillen.
Beikost zusätzlich zum Stillen sollte – in Abhängigkeit von der Bereitschaft des Babys – nicht vor dem 5. und nicht später als im 7. Lebensmonat eingeführt werden – aber eben nur zusätzlich, das heißt, mit der Einführung von Beikost soll weitergestillt werden.
Die nationale Stillkommission gibt keine Empfehlung, wie lange man insgesamt stillen sollte. Den Zeitpunkt des Abstillens sollen Mutter und Baby selbst bestimmen.
Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)
Die Empfehlungen der DGE decken sich mit denen der Stillkommission. Empfohlen wird ausschließliches Stillen mindestens bis zum Beginn des 5. Lebensmonats.
Beikost soll zwischen dem 5. und dem 7. Lebensmonat eingeführt werden und möglichst weitergestillt werden. Die DGE geht davon aus, dass das Kind am Ende des ersten Lebensjahres vom Familientisch isst.
Eine klare Empfehlung, wie lange Stillen darüber hinaus sinnvoll ist, wird auch hier nicht gegeben.
Auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen die Empfehlungen der DGE im Detail basieren, wird unter Netzwerk Gesund ins Leben erklärt.
Warum empfehlen manche Kinderärzte eine frühere Beikosteinführung oder Abstillen im ersten Jahr?
Viele Kinderärzte empfehlen auch heute noch eine Beikosteinführung im Alter von etwa 4-5 Monaten. Dieser Empfehlung zugrunde liegt die Annahme, dass die Einführung bestimmter Allergene (Milch, Nüsse, bestimmte Obstsorten) im besten Fall bei paralleler Gabe von Muttermilch erfolgt. Da viele Frauen in Deutschland aber insgesamt nicht länger als 6 Monate stillen möchten, wurde diese Empfehlung ausgesprochen.
Darüber hinaus hat die S3-Leitlinie zum Thema Stillen von 2014 das Stillen in Bezug auf Allergieprävention nur für einen Zeitraum von 4 Monaten als sinnvoll beschrieben. Heute gilt diese Ansicht allerdings bereits schon wieder als überholt.
Dein Kinderarzt rät zum Abstillen mit der Begründung, die Muttermilch reichere sich auf Dauer mit Schadstoffen an? Das sei nicht relevant fürs Kind, erklärt Prof. Michael Abou-Dakn, Mitglied der Nationalen Stillkommission und Chefarzt der Gynäkologie am St. Joseph-Krankenhaus Berlin, in einem Artikel der Apotheken-Umschau.
Warum gibt es überhaupt unterschiedliche Empfehlungen, wie lange man stillen sollte?
Die Empfehlungen der WHO gelten für alle Länder. Vor allem in Entwicklungsländern, in denen zum Teil problematische Hygienebedingungen herrschen, erfüllt das Stillen auch eine wichtige Schutzfunktion vor Infektions- und Durchfallerkrankungen. Gerade dann ist es sinnvoll, Säuglinge erst später mit fester Nahrung in Kontakt kommen zu lassen und auch den Flüssigkeitsbedarf von älteren Babys möglichst über die Muttermilch abzudecken.
Hierzulande ist man zu dem Schluss gekommen, dass ein Einführen der Beikost frühestens ab Beginn des 5. Lebensmonats kein Risiko darstellt, sofern dazu weiterhin gestillt wird. Deshalb weichen die Empfehlungen etwas ab.
Und was empfehle ich?
Nicht dass ich mich jetzt in eine Reihe mit der WHO oder der DGE stellen möchte, aber ich empfehle „meinen“ Frauen in erster Linie einmal, Druck aus dieser ganzen Thematik raus zu nehmen und sich nicht allzu sehr zu stressen.
Dein Baby ist ein Individuum, das sich vielleicht nicht an die gängigen Empfehlungen halten möchte. Und dann? Ich habe schon Babys erlebt, die auch mit 8 Monaten jegliche andere Nahrung komplett verweigert haben und ausschließlich gestillt werden wollten – eines davon kenne ich sogar persönlich ;-)
Aus diesem Grunde weiß ich auch, wie groß die Unsicherheit werden kann, wenn der Kinderarzt zum wiederholten Male empfiehlt, jetzt „aber mal endlich mit Beikost anzufangen“.
Oftmals hilft da schon ein Blick in das gelbe U-Heft. Dein Kind wächst wunderbar auf seiner Perzentile? Es ist bei allen U-Untersuchungen eine altersgerechte Entwicklung bescheinigt? Du empfindest Dein Kind als völlig „normal“? Dann hat es ganz offensichtlich mit dieser Ernährung momentan kein größeres Problem.
Manchmal hilft es schon, auf die Frage des Kinderarztes einfach unverfänglich mit einem „wir sind dran“ zu antworten, denn erfahrungsgemäß kommen selten brauchbare Tipps, wenn Du bei der Einführung von Beikost nicht weiter kommst. Ein brauchbarer Tipp ist nämlich beispielsweise nicht, das Essen so fein zu pürieren und zu verdünnen, dass es per Flasche gefüttert werden kann. Auch die vielgepriesenen Schmelzflocken aus der Milchflasche sind für mich nicht wirklich ein gangbarer Weg. Ein brauchbarer Tipp könnte viel mehr sein: Abwarten, immer wieder anbieten und weiter stillen.
Milch bleibt im ersten Lebensjahr Hauptnahrungsmittel
Ich empfehle bis heute eine Stilldauer von 6 Monaten und dann eine langsame, individuelle Beikosteinführung. Das empfehle ich im übrigen auch bei Kindern, die mit Muttermilchersatznahrung gefüttert werden. Im ersten Lebensjahr ist die hauptsächliche Energiequelle (Mutter-)milch und alles andere BEI-Kost – und nicht Ersatzkost. Das Kind ist ein Säugling und die Hauptnahrungsaufnahme kann und darf durch Saugen erfolgen.
Ich persönlich empfinde auch ein vollständiges Essen am Familientisch mit einem Jahr als sehr früh, vor allem, wenn man so schaut, was auf vielen Familientischen so steht, aber das ist ein anderes Thema.
Wie lange stillen solltest Du mindestens?
Ganz platt formuliert kann man wirklich sagen, dass – vor allem innerhalb der ersten Monate – JEDER Tropfen Muttermilch zählt. Es gibt inzwischen auch immer mehr Frauen, die zwar nicht stillen wollen, ihren Kindern aber trotzdem die Milch der ersten Tage geben möchten. Diese ist extrem reichhaltig und voller Antikörper und Immunglobuline und gilt als regelrechter „Zaubertrank“ für die Gesundheit Deines Babys.
Das bedeutet, selbst wenn Du dauerhaft nicht stillen möchtest, könntest Du in den ersten Tagen diese Milch – das Kolostrum – ausstreichen und per Spritze füttern oder Dein Baby nur in den ersten 1-3 Tagen anlegen.
Und selbst wenn Du danach wirklich nicht weiterstillen willst (wobei ich auch immer wieder Frauen erlebt habe, die sich dann tatsächlich noch einmal umentscheiden), hast Du mit dieser kleinen Portion Muttermilch Deinem Baby schon ganz viel mitgegeben.
Wie beuge ich Allergien beim Baby durch Stillen vor?
Was die Allergieprävention angeht, kann ich Dir die neue S3_Leitlinie zum Thema Stillen empfehlen, da sind einige wichtige Aspekte nochmal erfasst.
Runtergebrochen wird die Empfehlung der WHO übernommen und ein ausschließliches Stillen von 5-6 Monaten mit dem Weiterstillen bei Beikosteinführung empfohlen.
Gilt die empfohlene Mindest-Stilldauer auch für Frühchen?
Gerade früh- oder mangelgeborene Babys profitieren extrem von der Muttermilch. Wichtig zu wissen: Der Stilldauer liegt hier nicht das tatsächliche, sondern das korrigierte Alter zugrunde. Das heißt zum Beispiel, ein 2 Monate zu früh geborenes Baby kann sehr gut 8 Monate voll gestillt werden.
Aber dennoch: Stillen ist keine Verpflichtung, die Du mit der Geburt des Babys verbindlich für Monate oder Jahre eingehst. Es ist etwas, wogegen Du Dich zu jedem Zeitpunkt entscheiden darfst.
Länger als 6 Monate zu stillen hat viele Vorteile – für Baby und Mutter
Im Folgenden zeige ich Dir noch einmal kurz die Vorteile des Stillens und die dafür relevante Zeitdauer gebündelt auf:
Allergieprävention
Nachweislich verringert die ausschließliche Gabe von Muttermilch in den ersten 4-6 Lebensmonaten das Risiko, eine Allergie zu entwickeln, signifikant. Die Rolle des Weiterstillens bei Beikosteinführung wurde jahrelang unterschätzt, heute wird auch in der S3 Leitlinie auf diese Wichtigkeit nochmal gesondert hingewiesen.
Prophylaxe von SIDS (plötzlicher Kindstod)
Die Gefahr für Dein Baby, am plötzlichen Kindstod zu versterben ist zwischen dem 2.-4. Lebensmonat am höchsten, besteht aber im gesamten ersten Lebensjahr und minimal auch darüber hinaus. Auch aus diesem Grund ist eine längere Stilldauer auf jeden Fall empfehlenswert.
Organentwicklung
Neue Studien belegen, dass neben der bereits bekannten besseren Entwicklung einer gesunden Darmflora auch die Gehirnentwicklung durch Muttermilch positiv beeinflusst wird. Auch die Entwicklung der Kiefer-und Kaumuskulatur und somit die Sprachentwicklung wird durch Stillen gefördert.
Prävention von Diabetes /Übergewicht
Zur Prävention der sog. „Wohlstandserkrankungen“, zu denen neben dem Übergewicht auch der Diabetes im Kindesalter zählt, wird eine Stilldauer von mehr als 6 Monaten empfohlen.
Vorteile des Stillens für die Mutter
Auch für die Mutter hat längeres Stillen viele Vorteile, denn es senkt das Risiko für viele Erkrankungen, wie z.B. Osteoporose, Brust- und Eierstockkrebs, rheumatische Arthritis, Endometriose und Diabetes.
Wie lange stillen Frauen in Deutschland – und global?
Generell ist in unserer heutigen Zeit die Stilldauer deutlich kürzer als vor der Entwicklung von Muttermilchersatzprodukten. In Deutschland stillen die meisten Frauen nach etwa 8 Monaten ab, heißt es in der Studie „SUSE II“ zum Thema Stillen im ersten Lebensjahr, die 2020 im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) herausgegeben wurde.
Empirisch und global betrachtet liegt die Stilldauer beim Menschen zwischen 2 und 7 Jahren. Wenn Du nicht aktiv entgegensteuerst, kannst Du davon ausgehen, dass Dein Kind voraussichtlich im Alter zwischen zwei und vier Jahren sein Interesse am Stillen verliert – oder auch nicht, weil dieser Zeitpunkt eben so individuell ist. Das heißt nicht, dass ich dazu aufrufen möchte, Grundschulkinder wieder an die Brust zu packen, zumal die Vorteile dieses in unseren Breitengraden als extremes Langzeitstillen wahrgenommenen Stillens (eventuell aber auch aufgrund zu dürftiger Datenlage) nicht klar ersichtlich sind.
Ich möchte Dich – wie so oft – ermutigen, Deinen eigenen Weg zu gehen und weniger auf das zu hören, was vermeintlich besser Informierte Dir als einzige Wahrheit verkaufen wollen. Die wichtigste Expertin für Dein Kind bist Du – und Ihr werdet als Team ganz sicher Euren Weg finden.
Wie lange Stillen hat sich für Dich richtig angefühlt? Ich freue mich über Deinen Kommentar bezüglich Deiner eigenen (Still-)Erfahrungen!
Quellen
- AWMF online (2022): „S3-Leitlinie Allergieprävention“
- Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (2024): „Stillen – Die beste Ernährung in den ersten Lebensmonaten“
- Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (2025): „Nationale Strategie zur Stillförderung“
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (2020): „Stillquoten in Deutschland erfreulich hoch“
- Netzwerk Gesund ins Leben (2016): „Stilldauer: Ernährung und Bewegung von Säuglingen und stillenden Frauen – Handlungsempfehlungen“
- Still-Lexikon.de: „Forschungsdaten: Was ist “Langzeitstillen” und wie häufig kommt es vor?“
Mehr Infos dazu findest Du hier.